Stimmen, Sätze, Sprünge - von Einfällen und Kipppunkten
- Rolf Murbach

- vor 6 Tagen
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Du entwickelst eine Stimme, wenn du schreibst. Du weisst nicht, wie sie sich anhört. Sind es kurze Sätze, sind es lange Sätze oder Gedankensprünge? Das ist das Spannende am Schreiben, am Entwickeln einer Stimme. Wie du erzählst, ergibt sich. Du schaust dir zu, wie du schreibst.
Nicht immer gelingt das Auffinden der Stimme. Manchmal ist sie stumm. Die Sätze sind fad, fühlen sich abgestanden, ranzig an. Also schreibe ich und schaue, was geschieht. Dann stellen sich Gedanken ein. Ich wusste nichts von diesen Gedanken. Sie sind auf einmal da.
Ich freue mich über gelungene Übergänge, lasse mich überraschen. Sie sind Geschenk und nicht planbar – und zeichnen einen guten, eigenen Text aus. Wenig ist vorhersehbar, auch wenn diese Übergänge nach Mustern funktionieren. Vieles habe ich gelesen, nichts ist neu.
Der Stumme. Ich bin der Stumme. Ich schreibe, ich bin ratlos. Es sind immer die gleichen Gedanken, das gleich Dumpfe, das Bekannte. Aber ich schreibe weiter, warte auf den Einfall. Ja, es sind Einfälle oder Überfälle, wenn es läuft. Ich bin ihnen ausgeliefert. Ich drehe mich im Kreis und falle hin.
Zum Einfall. Ich denke in Bildern, skizziere sie, auch wenn sie nicht treffen, auch wenn sie in die Irre führen, ins Falsche, ins Klischeehafte. Oder ungenau sind. Später verwerfe ich die Bilder. Sich dem Einfall anvertrauen, sich vom Text tragen lassen, um dann alles zu lassen.
Einfach schreiben, einfach Wörter aneinanderreihen, Sätze sagen. Vieles ist banal, und das muss man aushalten. Ich ringe um das Schlichte, ich will kein Ornament, weil bekannt, überflüssig, nichtssagend.
Ich überarbeite den Text. Ich streiche und ich straffe. Ich formuliere neu. Und doch stimmt es nicht. Kann ich mir vertrauen? Erliege ich wiederholt dem Irrtum? Am besten sind die Texte, wenn ich sie hinfetze, wenn mich die Sätze jagen. Kurze Sätze, lange Sätze, Staccato und wimmern. Warum kommt mir wimmern in den Sinn? Ich lass das stehen.
Aber gut ist auch das Langsame, das Gemächliche, die Ruhe. Dann reihe ich Wort an Wort, halte den Rhythmus ein, lasse mich nicht beirren und setze Satz nach Satz. Vielleicht bin ich dann bei mir.
Natürlich ist Schreiben Geheimnis und Handwerk, Fluss und Gestaltung, Einfall und Plan. Man laviert also, bewegt sich vom einen zum andern, im Idealfall schlafwandlerisch. Wie ein Traumtänzer. Was ist ein Traumtänzer? Was bedeutet, sich dem Ziehen und Drängen zu überlassen, um dann doch zu sanktionieren. Einschneidend ist das. Ich übe mich hier im Loslassen. Was gefällt, darf vergehen, zerfliessen, sich auflösen. Das fühlt sich schön an. Ich schaue aufs Land und schweige.
Beim Schreiben gibt es Kipppunkte. Rechtzeitig einhalten, das ist die Kunst.
Eigentlich geht es ums Ankommen, ums Vergessen. Ich bin nur Text. Was um mich war, hört auf zu existieren. Selbstbetrug der schönen Art. Schreiben ist ein, wie sagt man, Narkotikum, sedierend, hypnotisch und leidstillend.
Die Sätze müssen kurz sein. Adjektive lassen wir weg. Bilder wirft er über Bord. Es braucht also nicht viel.



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